Wer als Neuling in die Caravanisierung einsteigt, sollte aus seinem Herzen keine Parkzone machen und sich mit der Frage auseinandersetzen: „Traue ich mir zu, ein Gespann zu fahren? Und wie entspannt bin ich dabei?“ Der Bericht eines Selbstversuchs.
Written by: CARAVANication-Mann
Nach der erfolgreichen Feuertaufe in Form eines gemieteten Ford V10 Superduty (Länge: 8 Meter) bei unserem Trip durch Kalifornien lautete meine pauschale Selbsteinschätzung zum Gespann-fahren voller Überzeugung:
„Yes, we can!“
Zugegeben: Seinerzeit musste sich die Familie nach Verlassen des Parkplatzes der Wohnmobil-Vermietstation die ersten 100 Meilen quasi unsichtbar machen, um nicht vom stark angespannten Fahrer (Ähnlichkeiten mit hier schreibenden Personen sind rein zufällig) völlig unverhältnismäßig angeblafft zu werden. Bin ja auch nur ein Mensch… Aber nach einer gewissen Eingewöhnung lief auf den großzügigen amerikanischen Straßen alles wie am Schnürchen.
Dann also stand der Caravan-Kauf an. In den Wochen zwischen Abschluss des Kaufvertrages und Abholung des neuen Caravans garnierte ich diese o.g. Ich-Kann-Das-Überzeugung mit einer guten Portion Pfeifen im Wald: Was soll schon schief gehen? Das schaffen andere doch auch. Augen zu und durch.
Am großen Tag der Abholung wurde das Pfeifen leiser und ich hörte die Selbstzweifel nun sehr deutlich:
„Ein Gespann ist ja schon noch mal was anderes als ein Wohnmobil. Und was ist mit rückwärts rangieren? Was passiert bei einer Vollbremsung? Du hast DAS DOCH NOCH NIE GEMACHT!!! OH MEIN GOTT!“
Der Familie gegenüber bewahrte ich natürlich mein Pokerface. Die gingen schließlich davon aus, dass der Papa es schon richten wird. Also brav die freundliche Einweisung des Händlers verfolgt, Lack vom bisher ungenutzten Kugelkopf der AHK abgeschliffen, angekuppelt, Spiegel montiert (…mannomann, stehen die weit raus…) und erstmal vom Fahrersitz aus die Lage gecheckt. Als dann auch wirklich die letzte Frage der Einweisung geklärt war, wurde die Familie für den restlichen Papierkramnoch einmal freundlich ins Büro gebeten und:
„Der Herr kann das Gespann da hinten auf dem Gelände wenden und kommt nach.“
Puh! Glück gehabt. Erstmal unbeobachtet ein paar Meter drehen. Was hatte die nette Dame noch zum Deichsel-Fahrrad-Träger gesagt? Auch ohne Fahrräder drauf ist der Einschlagwinkel bereits ein bisschen beeinträchtigt. Muss man sich rantasten. Ok, mach ich dann mal in Ruhe und drehe auf dem großzügigen Wendeplatz – KRACKS – TOCK – TOCK – TOCK! Nanu…? Klang ja seltsam… wird doch nicht schon der besagte Deichsel-Fahrrad-Träger gewesen sein… Doch! War er. Erste Kampfspur. Zwar nicht am Caravan, dafür am Stoßfänger des Zugfahrzeugs hinten links. Ein kleines Loch, verursacht durch die 3. Schiene des Deichsel-Fahrrad-Trägers, der den möglichen Einschlagwinkel beim Wenden dann doch mehr als „ein bisschen“ einschränkt. Frust!
(Anmerkung der Redaktion: ein Deichsel-Fahrrad-Träger nimmt nach meinen Erfahrungen nicht nur „ein bisschen“ sondern einen ganz erheblichen Einfluss auf den möglichen Einschlagwinkel bzw. Wendekreis. Daher haben wir uns bald wieder von dem guten Stück getrennt und auf einen Heckträger am Zugfahrzeug gewechselt)
Dieser holprige Start beim Gespann-Fahren führte natürlich wieder einmal zu einer „Bombenstimmung“ während der ersten Fahrkilometer (siehe oben: die ersten 100 Meilen im Wohnmobil…). Inzwischen sind die Fahrten längst wesentlich entspannter, weil so ein Caravan ja doch eine treue Seele ist und in der Regel einfach brav hinterherläuft … Außerdem ist die Familie bei unseren Ausfahrten auch einfach unbezahlbar, wenn die Jüngste zur Älteren sagt:
„Lass mal Papa grad in Ruhe, der muss sich jetzt konssentrian.“
Evolution des Fahrverhaltens
Im Grunde ist Gespann-Fahren also fast wie Autofahren – nur eben ganz anders… .
Es ist durchaus eine andere Perspektive, die Einen (weitestgehend eingefleischten Fußgänger, Rad- und Autofahrer) gerade zu Beginn kalt erwischen kann und eine Evolution des Fahrverhaltens erforderlich macht. Beispielsweise wenn ein anderes Fahrzeug auf die Autobahn auffahren möchte.
Die Situation (aus der Sicht desjenigen, der bereits auf der Autobahn fährt) war bisher ungefähr so aufregend wie die 109. Wiederholung „Deutschlands schönste Bahnstecken“ im Nachtprogramm: In der Regel hält man seine Geschwindigkeit konstant und der Neuankömmling nutzt den Beschleunigungsstreifen und schert souverän vor einem oder — etwas defensiver — dahinter ein. Ist die linke Spur frei, bricht man sich auch keinen Zacken aus der Krone, indem man mal eben nach links Platz macht für den Einlass-Begehrenden. Easy!
Nun lernten wir sehr schnell, dass diese alltägliche Situation sich mit einem Gespann gänzlich anders darstellt. Mal eben nach links Platz machen mit dem Gespann? Meist nicht so ganz einfach, speziell bei dichterem Verkehr. Also auf der Spur bleiben, Geschwindigkeit beibehalten und das Fahrzeug einscheren lassen. So die Theorie und nach allem was ich weiß auch der vorgesehene StVO-Style.
Nun begab es sich jedoch gleich zu Beginn unseres Gespann-Daseins gleich zwei-dreimal, dass es zu brenzligen Bremsmanövern auf dem Beschleunigungsstreifen kam und man für das vermeintliche „sture Spurhalten“ sogar angepöbelt wurde. Also plötzlich gar nicht mehr so unaufregend wie früher…
Einmal sogar – das entnahm ich einem Blick in den rechten Außenspiegel – entging unser Caravan nur knapp der Kollision mit einem PKW, der hinter uns einscheren wollte und fast den Wohnwagen übersehen und diesen folglich beinah gerammt hätte.
Also nochmal genau hingeschaut.
Fakt ist: so ein Gespann ist für den herkömmlichen Verkehrsteilnehmer eine heimtückische Wundertüte. Wer kann schon ahnen, dass sich hinter meinem Kühlergrill noch 12 Meter Freizeitspaß verbergen?
Da kann ich noch so sehr in guter Absicht unterwegs sein und meine Geschwindigkeit halten. Und dass ich als Gespann nicht mal eben links rüberziehen oder gar beschleunigen kann, um in echter Teamplayer-Manier höflich Platz zu machen, kann eben auch niemand riechen, der sonst nie Gespann fährt.
Inzwischen versuche ich, wenn es die Verkehrssituation hergibt, doch links rüberzufahren oder ich reduziere meine Geschwindigkeit, wenn ich sehe, dass es nötig ist (auch hier natürlich mit Blick auf den Hintermann) und lasse nach Möglichkeit vor mir einscheren.
Diese Variante hat eine Menge Vorteile
- Heil ankommen: Wenn der Caravan zerstört und der Urlaub somit ruiniert ist, wird es nicht dadurch besser, dass man womöglich im Recht war.
- Lebensjahre (vor allem die meiner Frau): jede dieser brenzligen Schreck-Situationen hat uns nach hinten raus Lebensjahre gekostet, oder zumindest ein paar weitere graue Haare wachsen lassen. Außerdem gilt auch in Bezug auf das dann meist folgende minutenlange schockstarre Schweigen: bringt mir gar nichts, wenn ich im Recht war. Defensiv ist das neue sportlich!
- Karma: ich bin mir sicher, irgendjemand führt ein wie auch immer geartetes Punktekonto. Und mir gefällt der Gedanke, dass ich durch diese Form der Rücksichtnahme jedes Mal einen Punkt bekomme.
Rangieren
Und dann gibt es ja noch diesen einen Teil einer jeden Ausfahrt oder Reise, quasi das Highlight für die ganze Familie, das Feuerwerk der Emotionen, ein Fest für Loriot-Fans, der Angstgegner des Neu-Caravanisten: Das Rangieren in den Campingplatz-Stellplatz!
Rückwärts mit dem Auto! Angekuppelt! Wie denn sonst?
Und auch hierbei sind die ersten Erlebnisse natürlich die prägendsten. Ich schrecke heute noch ab und zu schweißgebadet aus dem Schlaf hoch und frage mich, was der freundliche Stellplatznachbar auf unserer Jungfernfahrt wohl von mir gedacht haben mag.
Seine in bester Absicht erfolgten Kreisbewegungen mit dem Zeigefinger in der Luft, die mir die Lenkrichtung anzeigen sollten, trafen leider ins Leere. Ebensogut hätte er Blumensamen auf einer Betonplatte aussähen können. In meinem Kopf arbeitete es, während ich das Lenkrad nach dem Geratewohl mal nach links, mal nach rechts einschlug und plötzlich nicht mal mehr sicher war, ob links und rechts richtige Wörter sind. Alles theoretische Wissen (aus diversen YouTube Tutorien) waren wie ausgelöscht. Kein Anschluss unter dieser Nummer.
Allerdings wird es von Mal zu Mal besser und das ein oder andere Erfolgserlebnis war ebenfalls dabei – auch weil wir uns ein Fahrsicherheitstraining gegönnt haben, das uns in die richtige Spur gebracht hat. Dennoch muss ich mich jedes Mal höllisch konzentrieren. Wenn man das nicht so regelmäßig macht wie Bob der Baumeister, ist es ein langer Weg bis zur Routine.
Wie ihr aus unserem Mover-Beitrag vielleicht wisst, haben wir uns ja inzwischen eine Rangierhilfe gegönnt, die mich hin und wieder wie ein guter Trainer aus dem laufenden Spiel nimmt, wenn ich drohe, mich mittels übermäßigen Ehrgeizes in einer Rangier-Situation zu verrennen. Denn ja, der Ehrgeiz sitzt immer mit im Auto.
Aber erstens ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und manchmal muss auch ich mich der Weisheit beugen, dass der Klügere nachgibt.
Wieder ein schöner Artikel.
Sehr nachfühlbar. Deckt sich auch mit meinen Erfahrungen.
Einfach nur den nötigen Respekt für das Gespann bewahren. Dann klappt das auch.
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Da hast Du recht. Danke für den netten Kommentar!
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[…] immens ein (die Beule in der Stoßstange schmerzt heute noch – den Detailbericht gibt es hier). Wir sind nach einer Saison auf einen Fahrradträger für die Heckklappe unserer V-Klasse […]
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